Rainer Wollenschneider schreibt am 22. Dezember 2017 im Badischen Tagblatt:
Revolutionszeit wird lebendig
Der zweite Band der Lebensgeschichte des Rastatter Bankiers Franz Simon Meyer ist nach der Vorstellung des ersten Buchs 2016 von vielen Menschen mit Spannung erwartet worden. Sebastian Diziol hat wieder ganze Arbeit geleistet und kann nun auf 559 Seiten ein Zeitbild präsentieren, das in interessanten Facetten die Zeit von 1828 bis zur Revolution in Baden von 1848/49 nahebringt. Packend sind die kommentieren Aufzeichnungen des Rastatters Weltbürgers und Bankiers, die im Stadtarchiv Baden-Baden im Original aufbewahrt sind.
Treffend heißt es im Begleittext, dass Meyers Aufzeichnungen Momente des Glücks und der Trauer sowie den Alltag gerade der turbulenten Zeit der Revolution minuziös wie sonst kaum schildern. Eine Augenweide sind die eingestreuten Textillustrationen, die der Ausgabe – neben über 50 Abbildungen und vier Karten – einen besonderen bibliophilen Charakter verleihen.
Überraschend ist die Schilderung eines Hochzeitsessens im Hause Meyer im November 1829 mit Sitzplan. Serviert wurden neben Austern, Schnecken und Kapaunen damals auch Auerhähne. Meyer beschreibt auch das revolutionäre Treiben schon 1830 in Frankreich und Polen, aber er liefert auch Interessantes zum geheimnisumwitterten Kaspar Hauser.
Dass der reiche Bankier auch eine poetische Ader hatte, das belegt er durch abgedruckte Gedichte. So 1835 „Das Schloss Rastatt“ und die rührende Elegie auf die verstorbene Fanny Meyer.
Immer wieder überraschen in Sebastian Diziols Band Meyers kenntnisreiche Blicke über den regionalen Tellerrand: Erdbeben in Syrien, Cholera in Sizilien und Kriege gegen ethnische Minderheiten in Russland. Ab 1840 ist das Geschilderte insbesondere eine wahre Fundgrube zur Rastatter Stadtgeschichte und der Region. 1842 schreibt Meyer: „Eisenbahn und Festung rauben den Einwohnern die Hälfte ihrer Güter“, und man sei sich über Grundstückspreise nicht einig. Allerdings ist Meyer dann 1844 über die hohen gezahlten Grundstückpreise glücklich. Es stören ihn nur 4000 Tagelöhner und Maurer beim Festungsbau.
Vor dem Hintergrund der Errichtung der Bundesfestung in Rastatt schildert der Bankier die revolutionäre Stimmung 1847: „In Deutschland gärt es, namentlich bei uns in Baden.“ Wird auch am 26. März 1848 die schwarz-rot-goldene Fahne auf den Rastatter Festungswällen gehisst, Meyer als Mitglied des Bürgerausschusses ist das nicht genehm. „Gegen meinen Willen abgesandt“ ist protestierend unter einer zitierten demokratischen Petition zu lesen.
Ein erhaltener Festungsplan ist dann nur der Auftakt zu spannend zu lesenden Beschreibungen eines Insiders zu den revolutionären Ereignissen und der vorübergehenden Herrschaft der Revolutionäre in der Stadt vom 12. Mai bis zur Kapitulation am 23. Juli 1849.
Nirgendwo in der bisher öffentlich greifbaren Literatur zur Revolution sind die Schilderungen dazu so packend ausgefallen. Spannend und mitreißend ist, was Meyer über die Standgerichtsurteile durch Erschießen schreibt.
Mit dem zweiten Band der Aufzeichnungen des Franz Simon Meyer wurden Fakten in neuem Licht, aber auch ein historischer „Roman“ geliefert, der wahrlich fesseln kann. Zusätzlich hat der aus Baden-Baden stammende Sebastian Diziol durch seine Anmerkungen mit Erklärungen und ein detailliertes Register ein wichtiges Nachschlagewerk abgeliefert.
„Die ganze Geschichte meines gleichgültigen Lebens“ , Band 2, kostet 32,90 Euro.