Glasindustrie begründet Industriestandort Gaggenau

Wenn die Ursprünge des Industriestandortes Gaggenau aufgespürt werden, dann wird zuallererst der Bau eines Hammerwerkes durch den Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden, bekannter als der „Türkenlouis“, um das Jahr 1680 genannt. Doch dieses Hammerwerk hatte fast 200 Jahre keine besondere Bedeutung. Wechselnde Besitzer versuchten erfolglos ihr Glück. Dies änderte sich erst, als es der Industrielle Michael Flürscheim 1873 kaufte und später gemeinsam mit Theodor Bergmann als Eisenwerke Gaggenau zu Weltgeltung brachte. Auch die Suche nach Eisenerzen – beispielsweise imHilpertsloch – war ein Flop und ist somit einer Erwähnung kaum wert.

Den wesentlichen Impuls für die Industrialisierung von Gaggenau gab der Unternehmer und Gaggenauer Oberschultheiß Anton Rindeschwender, als er 1772 die Waldglashütte von Mittelberg an die Murg verlegte und zu einer Glasfabrik ausbaute.

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Anton Rindeschwender war der Sohn eines Tiroler Holzhauers, der Anfang des 18. Jahrhunderts nach Wanderjahren mit zwei Kollegen im Murgtal Arbeit gefunden hatte. Für Fremde war es seinerzeit noch viel schwerer als heute, sich zu behaupten. So kann es als besonderes Beispiel einer erfolgreichen Integration gewertet werden, dass es Anton Rindeschwender innerhalb weniger Jahrzehnte schaffte, zu großem Ansehen und Vermögen zu gelangen.

Rindeschwender konnte zunächst kaum lesen und schreiben, wohl aber hatte ihn sein Vater in die Kunst des Holzhauens  eingeweiht.  Er trat in dessen Fußstapfen, arbeitete zunächst in Ottenau und Weisenbach als Holzknecht und brachte es dort bis zum Meisterknecht. Zu Vermögen kam er dann als angestellter oder später selbständiger Holzhändler. Als wohlhabender Bürger mit gleich mehreren Immobilien im Dorf wurde er 1752 zum ehrenamtlichen Schultheiß ernannt. Sechs Jahre später erfolgte auf seinen eigenen Antrag hin sogar die Ernennung zum zum Oberschultheiß. Und dies, obwohl das Straßendorf Gaggenau weniger als 400 Einwohner zählte. Ihm zur Seite stand ein alljährlich von der Gemeinde gewählter „rechnungsführender Bürgermeister“,

Modell der Glashütten-Siedlung - Rathaus Gaggenau

Modell der Glashütten-Siedlung im Rathaus Gaggenau

Neben der Errichtung der Glasfabrik an der Grenze von Gaggenau und Rotenfels – streng genommen auf Rotenfelser Gemarkung, wie ein handgezeichneter „Topographischer Plan“ von 1785 belegt – ist die  Rodung und Urbarmachung des Amalienberges eine herausragende Leistung von Rindeschwender. Auch dies gab für lange Zeit Arbeit und Auskommen für Gaggenauer und Ottenauer Bürger, denen er zudem das Land abkaufte oder es gegen andere frisch erworbene Ländereien eintauschte. Zu Ehren von Erbprinzessin Amalie von Hessen-Darmstadt benannte er den Felsrücken in „Amalienberg“ um und beherbergte sie und ihren Gemahl auf ihrem schlossähnlichen Hofgut. Aus Dankbarkeit wurde Anton Rindeschwender mit 72 Jahren zum fürstlichen Ökonomierat ernannt.

Das Schloss auf dem Amalienberg wurde 1944 bei Luftangriffen zerstärt

Aber Anton Rindeschwender war nicht nur auf die Vermehrung seines Wohlstandes bedacht. Er war auch ein engagierter Schultheiß. Er regulierte die Murg, was ganz nebenbei zu Landgewinn führte, ließ neue Straßen und Wege anlegen und gründete die erste Gaggenauer Schule.

Seine erste Wohnung hatte Anton Rindeschwender mit seiner Frau Franziska Wolf im Bereich der späteren Glashüttensiedlung. Sie verstarb bei der Geburt des zwölften Kindes. Auch aus der zweiten Ehe gingen zwölf Kinder hervor. Sechs Kinder hatte er in dritter Ehe. Die Kindersterblichkeit war hoch und so überlebten nur neun der dreißig Kinder ihren Vater, der am 5. Mai 1803 verstarb. Heftige Auseinandersetzungen unter den vielen Erbberechtigten folgten. Diese wurden erst eingestellt, als sich der Großherzog Karl Friedrich vermittelnd einschaltete und Anton Rindeschwender am Fuße des Amalienberges ein Denkmal in Form eines Obelisken errichten ließ, das heute neben dem Rathaus steht.  Eine Ehre, die seinerzeit eher Feldherrn zuteil wurde.

Vor 100 Jahren endete die Gaggenauer Glasproduktion

Als 1772 die Betriebserlaubnis der Glashütte auf dem Mittelberg zu Ende ging – der Waldbestand ringsum war sehr gelichtet – beantragte der Gaggenauer Oberschultheiß Anton Rindeschwender, selbst auch Teilhaber dieser Glashütte, beim Markgrafen Karl Friedrich von Baden, statt dessen zukünftig eine Glasfabrik in Gaggenau oder Rotenfels zu errichten.

Glasfabrik vor 1905

Gegenüber einer Waldglashütte hätte diese Unternehmung verschiedene Vorteile: Das immer wieder in großen Mengen benötigte Brennmaterial Holz konnte auf der Murg in Form von Flößen einfach herbeigeschafft werden. Hinzu kam, dass Rindeschwender inzwischen auch bedeutender Teilhaber der Murgschifferschaft geworden war. Und mit Ausnahme der Glasmacher, die umgesiedelt und weiter  angeworben werden mussten, waren genügend Arbeitskräfte vorhanden. Für die Unterbringung der von Auswärts anzuwerbenden Facharbeiter wollte er Wohnhäuser mit Nebengebäuden sowie eine Gastwirtschaft für alle Glasarbeiter bauen.

Rindeschwender hatte das Glück, im vorherigen Pächter der Mittelberger Glashütte, Franz Josef Leitner,  einen weit gereisten und erfahrenen Glasmacher als Berater und Helfer zu finden. Dieser konzipierte vorbildlich die Gesamtanlage. Sicher war es ein Zufall, dass auch Leitner aus Österreich stammte.

Franz Josef Leitner wurde zunächst Teilhaber der Glashütte und wohnte mit Rindeschwender im so genannten Herrenhaus. Später war er nur noch technischer Leiter und zog in die Glashüttensiedlung um. Das Herrenhaus der Glasfabrik wurde übrigens erst 1977 abgerissen, was von vielen Gaggenauern bedauert wurde.

Gaggenauer Glaskelch

Gaggenauer Glaskelch

In der Beschreibung von Karl Jägerschmid von 1800 über „Das Murgthal“ ist nachzulesen: „Bei der Glashütte arbeiten sechzehn Glasbläser, drei Glasschneider und Schleifer, ein Menger, ein Potaschesieder, acht Holzspalter und Taglöhner, nebst den Weibern dieser Personen, wovon jede von ihnen ihre besondere Arbeit hat. Über das ganze Werk ist ein Faktor und Platzmeister gesetzt. Auf diesem Werke arbeiten zusammengenommen zweihundert und vierzig Menschen.“

Sonderausstellung „Gaggenauer Glas“ im Unimog-Museum 2011

In der Glashütte wurde „weißes, grünes und farbiges Glas“ geschmolzen und daraus wurden Flaschen, Becher, Krüge, Karaffen, Kelche, Humpen aber auch Fensterglas oder Gläser für chemische Zwecke hergestellt.

Die Bewohner durften übrigens nur die Gaststätte „Zur Glashütte“ und keine der vielen anderen in Gaggenau oder Rotenfels besuchen.

Gaststätte „Glashütte“, Herrenhaus und Siedlung um 1911

Mit dem Bau der Glasfabrik und der dazu gehörigen Siedlung setzte Anton Rindeschwender somit den ersten wesentlichen Meilenstein für die Industrialisierung von Gaggenau mit Ausstrahlung auf das Umland. Denn für die Errichtung der vielen Gebäude wurde eine große Zahl Handwerker beschäftigt, deren Betriebe dadurch erst aufblühten. Und was sich später als wertvoll erweisen sollte: Dieser Handwerkerstamm war zur Stelle, als hundert Jahre später das Gaggenauer Hammerwerk zu den Eisenwerken ausgebaut wurden.

Von 1773 bis 1869 wurde die Glasfabrik von Anton Rindeschwender oder dessen Nachkommen betrieben. 1869 ging sie in Konkurs, als man mit zu großem finanziellen Aufwand von Holz- auf Steinkohlebefeuerung umstellte. Die Handelsgenossenschaft Kirner & Cie. übernahm die Glashütte und führte sie bis zum Herbst 1910 weiter. Zum Jahreswechsel 1910 auf 1911 wurde das gesamte Gelände von den Eisenwerken Gaggenau übernommen. Somit bekam dieser Jahreswechsel vor rund 100 Jahren besondere Bedeutung für Gaggenau, denn zeitgleich firmierte Benz&Cie sein Gaggenauer Automobilwerk in Benzwerke Gaggenau GmbH um. Letzteres wurde ausgiebig gefeiert.

 

Welche Bedeutung die Glasfabrik für Gaggenau hatte, wird auch daran deutlich, dass das Gemeindewappen, das zuvor – wie heute – ein Getreidemaß zeigte, ab 1901 einen Glaskelch und ein halbes Zahnrad zeigte. Zwei Jahre nach der Eingemeindung von Ottenau wurde es 1938 umgestaltet und zeigte dann das frühere Gaggenauer Getreidemaß und das Ottenauer Rebmesser.

Darstellung aus dem Gaggenauer Heimatbuch von Willi Echle

Betrachtet man das Lebenswerk von Anton Rindeschwender, so ist es kein Wunder, wenn der Heimatforscher Dr. Theodor Humpert ihn 1963 als „Gaggenaus größten Sohn“ bezeichnete.

Gaggenau und seine Grenzen

Kartenausschnitt von 1785

Die Gaggenauer hatten offensichtlich immer schon Probleme mit ihrer Ortsgrenze. Nicht nur, dass das Benzwerk auf Ottenauer Gemarkung entstand und sich anschließend in erster Linie dort ausbreitete, auch die Glasfabrik Gaggenau wurde auf Rotenfelser Gemarkung errichtet. Dies belegt eine handgezeichnete Landkarte von 1785. Oberhalb der Ortsgrenze von Gaggenau liegt die Glashütte auf Rotenfelser Gemarkung.

Und dann ist da in jüngster Zeit noch das Gaggenauer Unimog-Museum, das auf Kuppenheimer Gemarkung steht.

Michael Wessel

Erstveröffentlichung im Badischen Tagblatt

 

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