Gaggenau in historischen Ansichten des 19. Jahrhunderts

Das Murgtal wurde früher auch die Badische Schweiz genannt, da insbesondere im Bereich von Forbach Felspartien zu bewundern sind, die man ansonsten eher in der Schweiz findet. Ein Felsen bei Bermersbach wird sogar das kleine Matterhorn genannt.Im 19. Jahrhundert kamen Professoren von Kunstakademien mit ihren Studenten ins Murgtal, um in der Natur Zeichenstudien zu betreiben. Daher gibt es sehr erfreulicherweise viele Ansichten mit Motiven aus dem Murgtal.

Nicht ganz so spektakulär wie die Ansichten mit Felspartien im hinteren Murgtal sind die Stiche und Lithographien vom Eingang in das Murgtal, also von Rotenfels, Gaggenau und Ottenau. Die in meiner Sammlung befindlichen Ansichten stelle ich hier ab Mai 2021 von Woche zu Woche vor.

Wenn ich diese Reihe abgeschlossen habe, freue ich mich über Ergänzungen durch andere Sammler oder Sammlerinnen einschließlich heimatkundlicher Archive.

Von Anfang an bin ich für Ergänzungen der Texte dankbar, denn oft ist mir beispielsweise nicht bekannt, in welchem Buch einzelne Abbildungen erschienen sind. Natürlich können sich auch Fehler einschleichen, die korrigiert werden sollten.

Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Dokumentation im Laufe der Jahre wächst und dass sich vielleicht auch Sammlerinnen und Sammler finden, welche die Ansichten der weiteren Orte im Murgtal auf dieser Website www.murgtal-chronik.de dokumentieren.

Auch wenn noch viele Daten zu einzelnen Bildern fehlen: Ein erster Schritt wird gemacht und am Eingang zum Murgtal begonnen. Die Vergabe der Bildnummern mit Abständen erlauben es, später andere Ansichten einzufügen.

Bad Rotenfels

Nr. 001

Dem bekannten Kunst-Professor und Leiter der Großherzoglichen Gemäldegalerie in Karlsruhe, Carl Ludwig Frommel, verdanken wir diesen frühen Stahlstich vom Eingang in das Murgtal mit der Kirche St. Laurentius, einer gewaltigen Holzbrücke und ganz rechts am Bildrand dem Schloss Rotenfels. Erschienen ist er um 1825 in den Reiseführern „Malerische Ansichten von Baden und seinen Umgebungen“ und 1827 in „Baden und seine Umgebungen“.

Bezeichnung: Rothenfels im Murgthal; C. Frommel delineavit. W. Nowack skulp.

Format: 20,7 x 14,5 cm

Quelle: https://digital.blb-karlsruhe.de/blbihd/content/titleinfo/6131237

Wikipedia zu Carl Ludwig Frommel u. a.: Bei einem Studienaufenthalt in London 1824[3] eignete sich Frommel die neuartige Technik des Stahlstichs an: 1820 hatte Charles Heath in England erstmals illustrierende Stahlstiche veröffentlicht, die sich dort bereits großer Beliebtheit erfreuten. Nach seiner Rückkehr eröffnete Frommel zusammen mit dem Engländer Henry Winkles, der auch für William Tombleson (ebenfalls London) arbeitete, 1824 in Karlsruhe ein Atelier für Stahlstecher, das erste seiner Art in Deutschland.

Nr. 005

Die Abbildung von Carl Ludwig Frommel diente offensichtlich als Vorlage für einen kleinen anonymen Stahlstich. Erschienen ist er vermutlich in einem der vielen Souvenir-Büchlein „Bade et ses environs“, die insbesondere von Gästen in Baden-Baden gerne gekauft wurden, um zuhause zu zeigen, wo man eine Kur gemacht hatte.

Bezeichnung: Rothenfels

Format: 9,7 x 5,8 cm

Nr. 010

Das vom Hofarchitekten Friedrich Weinbrenner erbaute Schloss Rotenfels zeigt eine Lithografie, die um 1830 im Verlag von J. Velten, Karlsruhe, erschienen ist. Ein Wegweiser gibt die Richtung der „Strasse nach Carlsruhe“ an.

Der Verlag von Johann Velten begegnet uns auf zahlreihen Lithografien des Murgtals. Im Karlsruher Stadtlexikon ist unter anderem zu lesen: „1820 gründete der 1784 in Wetzlar geborene und zuletzt in Basel tätige Kunsthändler Johann Velten in Karlsruhe eine Kunsthandlung mit Verlag und Sortiment in seinem Haus Lange Straße 233. Gegen Jahresende 1826 erhielt Velten die Konzession für den freien Betrieb der Lithografie und für die Errichtung einer Buchdruckerei für den eigenen Verlag. Ab Januar 1830 durfte er auch fremde Verlagsbücher drucken. 1832 eröffnete Velten, dessen Schwerpunkt auf der Herausgabe von Musikpartituren und Kunstbüchern lag, im Haus des Kaufmanns Carl Josef Mallebrein, Lange Straße 141, ein zweites Ladengeschäft, das er 1838/39 wieder aufgab. Zuvor hatte er in St. Petersburg 1837 eine Zweigniederlassung seines Geschäfts gegründet.“

https://stadtlexikon.karlsruhe.de/index.php/De:Lexikon:ins-1389

Bezeichnung: Schloß Rothenfels; bei J. Velten

Format: 18 x 13 cm

Nr. 020

„Die Solitude bey Rothenfels“ zeigt diese sehr frühe Lithographie aus dem Jahr 1818. Das im 17. Jahrhundert entstandene Gebäude wurde aber bereits 1796 durch französische Truppen zerstört. Übrig blieb nur der Felsenkeller. Für das  „Tage-Buch der Feldzüge des Krieges gegen Frankreich in den Jahren 1792 – 1796“ hatte der von 1791 bis 1796 in Gernsbach lebende  Amtmann Ernst Ludwig Posselt eine Abhandlung über das Murgtal und ein Dutzend Zeichnungen beigesteuert. Dazu gehörte diese interessante Abbildung der Solitude. Ein Glücksfall. Erschienen ist das Werk 1818 im Verlag Decke in Kolmar.

Unter den Abbildungen finden wir auch die Glasfabrik zwischen Gaggenau und Rothenfels und zwei mit dem Amalienberg.

Die Lithografie, auch Steindruck genannt, war erst 1798 von Alois Senefelder erfunden worden. Die ganz frühen Lithografien, wie dieser mit der Sulitude, werden Wiegendrucke genannt, weil sie in einer Zeit entstanden, in der sich diese neue Drucktechnik noch in den Kinderschuhen befand.

Bezeichnung: Die Solitude bey Rothenfels; J. Boillot 1818 (Es gab offensichtlich mindestens drei Auflagen, denn es existieren auch Drucke mit J. A. Billot 1818 und Lithographie de G. Engelmann à Mulhouse und weitere mit der Jahreszahl 1819 und ebenfalls dem Verlagshinweis.)

Format: 33,8 x 21,2 cm

E-Book: https://play.google.com/store/books/details?id=ULNCAAAAcAAJ&rdid=book-ULNCAAAAcAAJ&rdot=1

Nr. 025

Auf dem Keller der 1796 zerstörten Solitude, der Einsiedelei, am Fuße des Schanzenberges ließ sich Karoline von Hochberg vom badischen Oberbaudirektor Friedrich Weinbrenner ein Lusthaus errichten. Die altkolorierte Radierung von Johann Georg Primavesi nach einer Zeichnung von Carl Ludwig Kuntz aus dem Jahr 1806 zeigt rechts das „Römische Haus“ mit seinen vier Säulen und auf der linken Seite ist die Kirche St. Laurentius mit dem Pfarrhaus davor zu sehen. Erschienen ist die Radierung in dem „Handbuch für Reisende nach Baden bei Rastatt, in das Murgthal und auf den Schwarzwald“ sowie in einer Mappe „Das Murgthal geaezt von G. Primavesi“. Erschienen sind sie in den Heidelberger Verlagen Joseph Engelmann und Mohr & Zimmer.

Bezeichnung: Rothenfels am Eingang in das Murgtal zu finden bei Mohr & Zimmer in Heidelberg; gez. von  C. Kuntz – geaetzt von G. Primavesi f.aqua forte

Format: 27,5 x 17,3 cm

Nr. 026

Vermutlich bereits bei Erscheinen der Mappe wurden die Abbildungen auch koloriert angeboten.

Hier noch als Beispiel der Titel einer Mappe mit einer gedruckten Widmung: „Seiner königlichen Hoheit Karl Friedrich Grosherzog von Baden unterthänigst gewidmet von Georg Primavesi“. Den Zeichner erwähnt er nicht.

Nr. 030
Das „Römische Haus“ ist auch das Hauptmotiv eines von Carl Ludwig Kuntz zu Beginn des 19. Jahrhunderts gezeichneten und dann von ihm selbst geätzten großformatigen Kupferstichs. Zu sehen sind ebenso die Kirche St. Laurentius und im Vordergrund diesmal zwei Reiter und ein Wanderer.
Bezeichnung: Ansicht von Rothenfels am Eingang des Murgthales, Vue de Rothenfels a l’Entrée du Murgthal; Geaetzt und herausgegeben von Carl Kuntz Grosherzogl. Badischem Hof-Maler in Carlsruhe
Format: 35,5 x 26 cm
Nr. 050
Das Badhaus von Rotenfels um 1840 zeigt dieser frühe Stahlstich von Oeder nach einer Zeichnung von Carl Ludwig Frommel.
Frommel hatte die Technik des Stahlstichs 1824 bei einem Studienaufenthalt in England erlernt und in Deutschland eingeführt. Damit gehört dieser Stich zu den frühen seiner Art hierzulande.
Bezeichnung: Rothenfels, Die Elisabethen Quelle, Source Elisabethe, Elisabeth Spring; C. Frommel del., Oeder sculp
Format: 17,2 x 11,7 cm

Nr. 055

Ebenfalls das 1838 erbaute Badhaus von Rotenfels um 1850 zeigt dieser Stahlstich des Landschaftsmalers und Lithographen Karl Lindemann-Frommel, ein Neffe von Carl Frommel, der ihn adoptierte.

Nr. 060

Das Badhaus von Rotenfels um 1850 zeigt dieses anonyme Litho. An den beiden Bäumen im linken Bildteil ist zu erkennen, dass der Stahlstich Nr. 055 wohl als Vorlage diente. Die Überschrift „Baden-Baden (Environs) gibt zu erkennen, dass es in einem Souvenirbüchlein erschienen ist.

Bezeichnung: Rothenflz, Elisabethen Quelle, Source Elisabeth, Elisabeth Spring; Baden-Lith. F. M. Reichel

Format: 9 x 5,8 cm

Bezeichnung: Rothenfels, Die Elisabethen Quelle, Source Elisabeth, Elisabeth Spring; gez. V. K. Lindemann, gest. v. F. Würthle

Format: 10,2 x 7,7 cm

Nr. 070

Das Badhaus von Rotenfels um 1840 und dahinter die Gebäude der Elisabethenquelle sowie davor den Lauf der Murg zeigt dieses anonyme Litho.

Bezeichnung: Elisabethenquelle in Rothenfels

Format: 12,2 x 7,8 cm

Nr. 072

Das Badhaus von Rotenfels um 1880 und dahinter die Gebäude der Elisabethenquelle sowie davor den Lauf der Murg zeigt wie Nr. 070 dieser anonyme Holzstich, erschienen in „Illustrierte Zeitung“ Nr. 417

Bezeichnung: Gast- und Badhaus zur Elisabethenquelle in Rothenfels bei Baden.

Format: 22,5 x 12,4 cm

Nr. 080

St. Laurentius, die Mutterkirche des Murgtals, zeigt dieser anonyme Holzstich, der in der französischen Publikation Malte-Brun um 1880 erschienen ist.

Bezeichnung: Eglise de Rothenfels, prè Bade.

Format: 11 x 14 cm

Nr. 085

Einen Blick vom Kirchplatz St. Laurentius zum Schloss Rotenfels ermöglicht dieses um 1850 veröffentlichte colorierte Litho von Caspar Obach. Bei genauer Betrachtung ist auch das „Römische Haus“und das Quellenhäuschen für das Schloss zu erkennen. Rechts ist ein Stück des Pfarrhauses zu sehen.

Bezeichnung: Vue prise près de Rothenfels; C. Obach del., A. Reeve sc.; Chez J. Velten á Carlsruhe et Baden

Format: 12,8 x 9,5 cm

Nr. 086

Einen Blick vom Kirchplatz St. Laurentius zum Schloss Rotenfels ermöglicht auch dieses um 1850 veröffentlichte anonyme Litho, für das offensichtlich einer Zeichnung von Caspar Obach als Vorlage diente (Nr. 085). Rechts ist ein Stück des Pfarrhauses zu sehen.

Bezeichnung: Pres de Rothenfels.

Format: 9,4 x 6,6 cm

Nr. 090

Eine stimmungsvolle Straßenszene bei der „alten Schule“ mit Fachwerkhäusern und einer steinernen Bogenbrücke über den Angelbach ist auf einem Litho von Caspar Obach zu sehen, das um 1845 im Verlag J. Velten in Karlsruhe erschienen ist.

Bezeichnung: Rothenfels; C. Obach del, bei J. Velten.

Format: 18,7 x 13,5 cm

 

Buchvorstellung: Das Murgtal – Ansichten aus der „badischen Schweiz“

Die Herausgeberin Tina Wessel, Jahrgang 1976, Kulturwissenschaftlerin und selbst waschechte Murgtälerin hat darin zahlreiche reizvolle Landschaftsansichten aus dem Murgtal mit historischen Reisebeschreibungen, Gedichten und Sagen zu einem Spiegelbild dieser Epoche verbunden. Die Bilder und Texte führen uns auf eine Reise vom Eingang des Tales bei Bad Rotenfels bis zum Ende des badischen Teils hinter Forbach.

Das Buch entführt Sie auf eine Zeitreise ins Murgtal des 19. Jahrhunderts. Das Murgtal – seit jeher Inspirationsquelle für zahlreiche Künstler und Schriftsteller – wurde von seinen Bewunderern wegen seiner Ähnlichkeit mit der Schweiz auch die „badische Schweiz“ getauft. Dieser Vergleich – heute längst in Vergessenheit geraten – muss jedoch im 19. Jahrhundert den Betrachtern und Bewunderern des Murgtals umso gegenwärtiger gewesen sein. Denn es existiert kaum eine Beschreibung dieses „Tempels der Natur“, die nicht diese Metapher bemüht, die nicht die schroffen Felspartien und den wilden Lauf der Murg zum Anlass nimmt, gedankliche Assoziationen zur Schweiz aufzubauen.

Das Murgtal – die „kleine Schweiz“ – war zu dieser Zeit weit über seine Grenzen hinaus bekannt und berühmt für seine abwechslungsreiche und gegensätzliche Landschaft, die auch viele Künstler ins Tal lockte und dazu inspirierte, diese besonderen Reize bildnerisch festzuhalten. Zu diesen Künstlern zählen beispielsweise Christian Haldenwang, Georg Primavesi, Johann Obach, Carl Kuntz und Carl Ludwig Frommel. Den Ergebnissen dieses kreativen Schaffens galt das Interesse der Herausgeberin. Zu diesen zählen Landschafts-ansichten in Form von Kupferstichen, Radierungen, Lithographien, Stahl- oder Holzstichen, Aquarellen und Zeichnungen.

Das Buch bietet eine Fülle dieser beeindruckenden und überwiegend sehr seltenen Ansichten des Murgtals. Ergänzt werden sie durch pointierte Reiseberichte, interessante historische Beschreibungen, schwärmerische Gedichte und spannende Sagen rund ums Tal. Damit wird der optische Eindruck mit der ganz konkreten Lebenssituation des 19. Jahrhunderts verknüpft, und der Leser erhält dadurch ein facettenreiches Bild. Es soll ihm so auf unterhaltsame und abwechslungsreiche Weise ermöglicht werden, eine Reise in das Murgtal vergangener Tage anzutreten.

Nach der Natur gezeichnet – Unser Landkreis in Bildern und Beschreibungen der Romantik und des Biedermeier

… ist Titel eines 24-seitigen Beitrags, den ich 1986 für das Heimatbuch des Landkreises Rastatt geschrieben habe. Darin werden auch die einzelnen Drucktechniken vorgestellt, die uns heute noch ermöglichen, uns an den Ansichten aus dem19. Jahrhundert zu erfreuen.

Michael Wessel

 

Literatur zu Gaggenau

Zur Kernstadt Gaggenau und den einzelnen früher selbständigen Stadtteilen sind in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Veröffentlichungen erschienen. Diese Kurzübersicht wird um Inhaltsbeschreibungen und weitere Bilder ergänzt. Bitte noch keine Bücher nachmelden, bevor ich meinen Bücherschrank abgearbeitet habe.

GAGGENAU

Echle, Willi: Gaggenau in Vergangenheit und Gegenwart, Gaggenau, 1968 (mit 285 Seiten das erste umfangreiche Standardwerk)

 

 

Langenmaier, Arnica-Verena: GAGGENAU – 60 Jahre Stadt, Gaggenau 1983

 

 

 

Langenmaier, Arnica-Verena: GAGGENAU – eine Stadt gibt sich die Mitte, Gaggenau, 1984

 

 

 

Lindemann, Klaus E. R., Gaggenau – Portrait der blühenden Stadt an der Murg, Karlsruhe, 1978

 

 

 

Autorenkollektiv, 100 Jahre Stadt Gaggenau, Gaggenau 2022

 

 

Für weitere Bücher aus den Stadtteilen hier klicken: Weiterlesen

Giuseppe Casà: Vom Hilfsarbeiter zum geschätzten Geschäftsmann

Italieniscche Produkte vom Feinsten bieten Samuel, Antonia, Giuseppe, Josefine und Luca Casà in Ottenau an.

Vom Hilfsarbeiter zum geschätzten Geschäftsmann

 Giuseppe Casà ist ein hervorragendes Beispiel für eine gelungene Integration

Orangen als Schlüsselerlebnis

Speiseeis, Orangen und Oliven spielen im beruflichen Leben des Sizilianers Giuseppe Casà eine besondere Rolle, denn sie waren mitentscheidend für seine beispielhafte Karriere. Aber ausschlaggebend waren der ausgeprägte gesunde Ehrgeiz und die positive Einstellung zum Leben und zu den Mitmenschen. Als seine Eltern 1970 Beschäftigung in den Gaggenau-Werken fanden, wollten sie wie viele sogenannte Gastarbeiter nur einige Jahre im Murgtal arbeiten, um dann wieder nach Sizilien zurückzukehren. Doch sie blieben für immer.

Im Jahr 1975 arbeitete der damals 15-jährige Giuseppe zunächst als Hilfsarbeiter bei den Holzwerken Rahner und im Folgejahr als Hoffeger in den Gaggenau-Werken. „Das war für mich sehr deprimierend“, erinnert er sich heute, und er setzte daher seinen ganzen Ehrgeiz daran, dass sich an seiner beruflichen Situation etwas ändert. Bald wurde er Stanzer und ab 1980 Maschinenbediener im Protektorwerk Florenz Maisch. Und so schloss er 1985 berufsbegleitend seine Ausbildung als Industriemechaniker an der Abendschule ab.

Voller Begeisterung erzählt der heute Sechzigjährige, dass er sich 1987 einen gebrauchten Eiswagen gekauft habe und manchmal hundert Leute beim Benzwerk, bei Maisch oder bei Roth-Technik in der Schlange standen. Das Jahr 1987 sollte aber noch mehr Bedeutung bekommen, denn er lernte bei einem Heimatbesuch in Italien seine Frau Antonina kennen – ein Jahr später heirateten sie. Ein zweiter Eiswagen wurde gekauft, und jetzt fuhren beide insbesondere nach Karlsruhe auf den Turmberg und in die Schrebergärten von Hagsfeld. Viele Freundschaften entstanden dabei, und so fährt Giuseppe Casà weiterhin gerne dorthin.

Seit über 30 Jahren verkauft Giuseppe Casà selbst gemachtes Eis – meist bei den Schrebergärten in Karlsruhe-Hagsfeld

Ein Schlüsselerlebnis hatte er sicherlich, als ihn 1994 ein Schwager bat, für ihn ein paar Kisten unbehandelte Orangen in Gaggenau zu verkaufen. Giuseppe Casà erschrak, als ganze 300 Kisten ankamen. „Wer soll die denn alle essen?!“, schimpfte er. Doch nach zwei Tagen waren sie restlos verkauft. Die nächste Lieferung kam kurz darauf dann schon mit einem Sattelzug. Auch hier verkauften sich die 24 Tonnen innerhalb einer Woche. Anlieferung und Verkauf waren noch in der alten AVIA-Tankstelle. Aber auch im Benzwerk oder bei Blumen-Hertweck fanden die Orangen kistenweise Abnehmer.

Und dann sind da ja noch die Oliven, die bereits seit etwa 1800 in der Großfamilie angebaut und insbesondere zu Öl gepresst werden. Die eigene Anbaufläche vergrößerte Giuseppe Casà durch den Zukauf von 5.000 Quadratmetern auf fast das Doppelte. Und es ist für ihn eine Selbstverständlichkeit, dass er jedes Jahr im Oktober zwei oder drei Wochen bei der Olivenernte vor Ort ist, um eine hohe Qualität gewährleisten zu können.

Bereits mit dem Kauf eines Reihenhauses in Ottenau im Jahr 1992 stand für Antonina und Giuseppe Casà fest, dass sie hier bleiben werden. Das manifestierte sich, als beide den Entschluss fassten, einen Groß- und Einzelhandel für italienische Feinkost aufzubauen, hierfür 1997 ein Grundstück kauften und vier Jahre später ihr Geschäft eröffnen konnten. Erst jetzt gab Giuseppe Casà seine Tätigkeit im Protektorwerk Maisch auf, um sich voll und ganz der neuen Herausforderung zu stellen.

Der Traum der beiden ging in Erfüllung: Mit tatkräftiger Unterstützung durch ihren Sohn Samuel ist ihr Unternehmen „Pronto Casa“ heute in der Region die Nummer eins für italienische Spezialitäten – auch bei der Belieferung der Gastronomie. Zusammen haben sie sich noch weitere Ziele gesteckt: Durch den Zukauf eines Grundstücks soll die Verkaufsfläche von 280 auf 440 Quadratmeter und die Lagerfläche von 200 auf 400 Quadratmeter erhöht werden. Damit wollen sie ihre Spitzenposition langfristig absichern.

Giuseppe Casà ist heute glücklich über die positive Entwicklung, die er dank großem Ehrgeiz und guter Gesundheit, aber auch dank glücklicher Fügungen durchlaufen durfte. Daher freuen sich insbesondere in der Vorweihnachtszeit gleich mehrere soziale Einrichtungen immer wieder unter anderem über seine Orangen-Spenden.

Text und Fotos: Michael Wessel

Erstveröffentlichung im Badischen Tagblatt vom 1. September 2020

1888: perforierte Toilettenrollen aus den Eisenwerken Gaggenau

Bereits 1888 boten die Eisenwerke Gaggenau vier Halter für perforiertes Toilettenpapier an - vier Jahrzehnte vor Hakles Produktion in Ludwigsburg.

Bereits 1888 boten die Eisenwerke Gaggenau vier Halter für perforiertes Toilettenpapier an – vier Jahrzehnte vor Hakles Produktion in Ludwigsburg.

Badisches Tagblatt, 25. August 2015         DER MURGTÄLER

Gaggenauer Komfort fürs Closet

Der gerollte Hygieneartikel wurde früher als bislang angenommen hergestellt

Am 26. August ist Tag des Toilettenpapiers

Von Michael Wessel

Gaggenau – Es gibt Gedenktage, die regelmäßig durch die Medien gehen. So ist am morgigen 26. August – man kann es kaum glauben – der internationale Tag des Toilettenpapiers, der toilet paper day. Gibt es einen besseren Anlasse, die Geschichte des Toilettenpapiers, auf die bei solcher Gelegenheit gerne zurückgeblickt wird, zu korrigieren? Denn jetzt belegen zwei Dokumente, dass der Hygieneartikel bereits 1888 in den Eisenwerken Gaggenau in großem Stil hergestellt wurde. Bislang galt als gesichert, dass gerolltes Toilettenpapier in Deutschland erst in den 1920er Jahren produziert wurde.

Bisher wird Hans Klenk zugeschrieben, die Toilettenrolle auf dem europäischen Festland eingeführt zu haben. Der Firmenname, die Abkürzung Hakle, ist vielen geläufig. So schrieb beispielsweise die Berliner Zeitung 2003: „Der schwäbische Unternehmer Hans Klenk wickelte im Jahr 1928 – vor 75 Jahren – zum ersten Mal lange Papierstreifen auf eine Rolle. Damit führte der ehemalige Banker in Europa ein, was die Firma Scott um 1890 in Amerika bereits vorgemacht hatte. Die amerikanische Papierfabrik hatte sich damals noch gescheut, den eigenen Namen auf das als anrüchig empfundene Produkt zu drucken.

Hakle-Produktion erst ab 1928

Auch der Brite W. C. Alcock, der in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine Alternative zu den bis dahin üblichen Zeitungsschnipseln erfand, nannte diese schamvoll Papierlockenwickler. Klenk hatte keine derartigen Bedenken und gründete 1928 sein Werk im schwäbischen Ludwigsburg. Als Firmennamen wählte er seine erweiterten Initialen: Hakle. Dazu fiel ihm ein psychologisch wertvoller Werbespruch ein: „Verlangen Sie eine Rolle Hakle, dann brauchen Sie nicht Toilettenpapier zu sagen.“

Diese weit verbreitete Auffassung, dass erst 1928 die Toilettenrolle auf dem europäischen Festland eingeführt wurde, muss jetzt korrigiert werden. Denn bereits fast vier Jahrzehnte zuvor, 1891, wirbt Theodor Bergmann, Geschäftsführer der Eisenwerke Gaggenau, in einer Firmenbroschüre für seine Toilettenrollen: „Papier-Perforier-Anstalt, mit 12 Specialmaschinen, fertigt pro Tag über 2000 Rollen gelochtes Closetpapier und ist bis heute wohl auf dem ganzen Kontinent die einzige derartige Anstalt.“ Zwei Zeichnungen ermöglichen den Blick in die Produktion des gerollten und gelochten Toilettenpapiers.

Die frühe Produktion von Toilettenpapier in den Eisenwerken Gaggenau belegen auch diese beiden Zeichnungen aus dem Jahr 1891.

Die frühe Produktion von Toilettenpapier in den Eisenwerken Gaggenau belegen auch diese beiden Zeichnungen aus dem Jahr 1891.

 

Luxus mit Leuchte und Streichholzhalter

In den Gaggenauer Eisenwerken wurde offensichtlich aber bereits früher Toilettenpapier auf Rollen produziert, denn in einem ledergebundenen „Illustrirtem Preisverzeichnis“, das 1888 anlässlich der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft herausgegeben wurde, werden gleich vier sehr unterschiedliche „Closetclipse für Rollenpapier“ mit folgender Werbebotschaft offeriert: „Die meisten Halter für Rollen-Papier haben den Nachtheil, dass die Rollen zu schwierig einzumachen sind und dass namentlich beim Abreissen zu viel Papier nachläuft, d. h. sich von selbst abrollt und unordentlich herunterhängt. Bei diesen neuen Clips sind diese Mängel beseitigt, indem die Einführung eine sehr einfache ist.“

Diese Formulierung lässt darauf schließen, dass es sich zu diesem Zeitpunkt um keine Neuheit handelte, also gerolltes Toilettenpapier und die dafür notwendigen Halter sogar bereits vor 1888 hier angeboten wurden. Diese kosteten in einfachster Ausführung zehn Mark und in der Luxusvariante mit Leuchter und Streichholzhalter 78 Mark. Die dazu gehörige Rolle mit 1000 Abrissen wurde im Dutzend für zwölf Mark angeboten. Beides also ein besonderer Luxus, wenn man bedenkt, dass die 78 Mark mehr als dem Wochenlohn eines Facharbeiters entsprachen.

Weiter heißt es: „Wir machen noch ausdrücklich darauf aufmerksam, dass unser Rollenpapier perforirt ist, was den grossen Vortheil hat, dass man selten mehr abreisst als eben nothwendig ist, während bei nicht perforirtem Papier immer zu viel abgerollt wird und dieses dann trotz etwas billigerem Ankaufpreis, wesentlich theurer zu stehen kommt, als das unsrige.“

Wie im „Illustrirtem Preisverzeichnis“ weiter zu sehen ist, boten die Eisenwerke auch Halter für „Closetpapierhalter in Buchform“ an. Dabei war man sich nicht zu schade, das Markenzeichen, zwei gekreuzte Pistolen, groß auf das Deckblatt zu drucken.

Am Tag des Toilettenpapiers können wir also feststellen, dass sich die perforierte Klorolle von Gaggenau aus auf dem europäischen Festland verbreitet hat.

Mehr zu den Eisenwerken Gaggenau in dem Buch „Michael Flürscheim – Industrieller, Sozialökonom, Utopist“, erhältlich im Buchhandel oder über www.buchundbild.de sowie auf www.murgtal-chronik.de

 

 

 

Neuerscheinung: „Verstreute Spuren – verblasste Erinnerungen“ von Ulrich Behne

Das jüdisch geführte Kaufhaus Guggenheim in der Stadtmitte von Gaggenau um 1914
Sammlung Wessel

Thomas Senger vom Badischen Tagblatt schreibt zur Neuerscheinung: „Verstreute Spuren – verblasste Erinnerungen“ von Ulrich Behne:

Ein Buch über die Vergessenen

Ulrich Behne ruft das jüdische Leben in Gaggenau, Hörden und Rotenfels in Erinnerung

Es ist das bisher schlimmste Kapitel der Menschheitsgeschichte, und es wurde auch im Murgtal geschrieben. Die Erinnerung daran, die hat man verblassen lassen, denn in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, nach der Nazi-Diktatur, da wollte man sich nicht gerne erinnern. Mit dem Buch „Verstreute Spuren – Verblasste Erinnerungen“ hat Ulrich Behne nun ein Werk vorgelegt, das die Juden aus Hörden, Gaggenau und Rotenfels aus der Vergessenheit holt.
Der ehemalige Lehrer am Goethe-Gymnasium und Vorsitzende des Kulturrings Gaggenau hat sich einer Aufgabe gestellt, die andere Lokalhistoriker nicht gesehen haben, vielleicht nicht sehen wollten. Wer Behne je als Lehrer erlebt hat, wie er junge Menschen für Geschichte begeistern wollte, der weiß, wie der noch 79-Jährige – er wird am 3. April 80 Jahre alt – sich in ein Thema „hineinkniet“, wie er es bezeichnet. Behne hat Spuren gesucht in den Ortschaften, in den Häusern und in den Archiven. Vielleicht, vielleicht hat es ihm dabei geholfen, dass er als einst „Zugezogener“ sich nicht verschämt ducken musste, wenn die Taten der Väter- oder Großvätergeneration der Murgtäler zur Sprache kamen. Eine Lektüre, die berührt Wenn man sein Buch liest, wenn man Ulrich Behne im Gespräch darüber erlebt, dann spürt man, dass er bei allem Quellenstudium, bei allem Streben nach Fakten sich persönlich hat berühren lassen von dem Schicksal der Familien, der Frauen und Männer, der Kinder und Alten; die Murgtäler waren unter Murgtälern, Nachbarn unter Nachbarn, Freunde unter Freunden – und doch einem scheinbar unausweichlichen Schicksal entgegengingen, das in Flucht, Vertreibung oder Vernichtung endete.

Es ist nicht nur das Zusammentragen von Fakten, was das Buch lesenswert macht, es sind die darin vorkommenden Menschen, deren Geschichten, die es zu einer berührenden Lektüre werden lassen. In drei Hauptteilen nimmt sich Behne des Themas an: Die jüdische Gemeinde in Hörden, Jüdische Kaufleute in Gaggenau und das Kapitel über den Rotenfelser Arzt Dr. Meyerhoff und seine Familie. Im Anhang geht Behne darüber hinaus auf den Theologen und Schriftsteller Alban Stolz ein, ein Antisemit seiner Zeit, der in Rotenfels von 1833 bis 1835 als Kaplan tätig war. Die Nazi-Diktatur, sie formte den größten Fäkalienhaufen der deutschen Geschichte. Das Buch von Ulrich Behne kann dazu beitragen, dass Antisemitismus nie wieder tolerierbar wird -egal, ob es ein übernommener Antisemitismus ist oder ein bereitwillig importierter.

Ulrich Behne (2019): Verstreute Spuren – verblasste Erinnerungen. Verlag Regionalkultur, 176 Seiten, ISBN 978-3-95505-131-0. Das Buch ist für 17,90 Euro im regionalen Buchhandel erhältlich.

Termine zur Heimatkunde

 

Postkarte der Gaststätte "Brüderlin" von 1924

Postkarte der Gaststätte „Brüderlin“ von 1924

Die Sammler von Ansichtskarten und Stichen/Lithographien mit Motiven aus dem Landkreis Rastatt und Stadtkreis Baden-Baden treffen sich zweimal jährlich im „Brüderlin“, Gernsbach. Pandemiebedingt finden derzeit jedoch noch keine Termine statt.

Weitere Termine zur Heimat- und Indurstriegeschichte veröffentlichen wir hier gerne. Bitte mailen an wessel-gaggenau@t-online.de

Die Termine der Regionalgruppe Rastatt der Badischen Heimat stehen im Beitrag „Badische Heimat“.

 

Zweiter Band über den Rastatter Chronisten Franz Simon Meyer von Sebastian Diziol erschienen

 

Rainer Wollenschneider schreibt am 22. Dezember 2017 im Badischen Tagblatt:

Revolutionszeit wird lebendig

Der zweite Band der Lebensgeschichte des Rastatter Bankiers Franz Simon Meyer ist nach der Vorstellung des ersten Buchs 2016 von vielen Menschen mit Spannung erwartet worden. Sebastian Diziol hat wieder ganze Arbeit geleistet und kann nun auf 559 Seiten ein Zeitbild präsentieren, das in interessanten Facetten die Zeit von 1828 bis zur Revolution in Baden von 1848/49 nahebringt. Packend sind die kommentieren Aufzeichnungen des Rastatters Weltbürgers und Bankiers, die im Stadtarchiv Baden-Baden im Original aufbewahrt sind.

Treffend heißt es im Begleittext, dass Meyers Aufzeichnungen Momente des Glücks und der Trauer sowie den Alltag gerade der turbulenten Zeit der Revolution minuziös wie sonst kaum schildern. Eine Augenweide sind die eingestreuten Textillustrationen, die der Ausgabe – neben über 50 Abbildungen und vier Karten – einen besonderen bibliophilen Charakter verleihen.

Überraschend ist die Schilderung eines Hochzeitsessens im Hause Meyer im November 1829 mit Sitzplan. Serviert wurden neben Austern, Schnecken und Kapaunen damals auch Auerhähne. Meyer beschreibt auch das revolutionäre Treiben schon 1830 in Frankreich und Polen, aber er liefert auch Interessantes zum geheimnisumwitterten Kaspar Hauser.

Dass der reiche Bankier auch eine poetische Ader hatte, das belegt er durch abgedruckte Gedichte. So 1835 „Das Schloss Rastatt“ und die rührende Elegie auf die verstorbene Fanny Meyer.

Immer wieder überraschen in Sebastian Diziols Band Meyers kenntnisreiche Blicke über den regionalen Tellerrand: Erdbeben in Syrien, Cholera in Sizilien und Kriege gegen ethnische Minderheiten in Russland. Ab 1840 ist das Geschilderte insbesondere eine wahre Fundgrube zur Rastatter Stadtgeschichte und der Region. 1842 schreibt Meyer: „Eisenbahn und Festung rauben den Einwohnern die Hälfte ihrer Güter“, und man sei sich über Grundstückspreise nicht einig. Allerdings ist Meyer dann 1844 über die hohen gezahlten Grundstückpreise glücklich. Es stören ihn nur 4000 Tagelöhner und Maurer beim Festungsbau.

Vor dem Hintergrund der Errichtung der Bundesfestung in Rastatt schildert der Bankier die revolutionäre Stimmung 1847: „In Deutschland gärt es, namentlich bei uns in Baden.“ Wird auch am 26. März 1848 die schwarz-rot-goldene Fahne auf den Rastatter Festungswällen gehisst, Meyer als Mitglied des Bürgerausschusses ist das nicht genehm. „Gegen meinen Willen abgesandt“ ist protestierend unter einer zitierten demokratischen Petition zu lesen.

Ein erhaltener Festungsplan ist dann nur der Auftakt zu spannend zu lesenden Beschreibungen eines Insiders zu den revolutionären Ereignissen und der vorübergehenden Herrschaft der Revolutionäre in der Stadt vom 12. Mai bis zur Kapitulation am 23. Juli 1849.

Nirgendwo in der bisher öffentlich greifbaren Literatur zur Revolution sind die Schilderungen dazu so packend ausgefallen. Spannend und mitreißend ist, was Meyer über die Standgerichtsurteile durch Erschießen schreibt.

Mit dem zweiten Band der Aufzeichnungen des Franz Simon Meyer wurden Fakten in neuem Licht, aber auch ein historischer „Roman“ geliefert, der wahrlich fesseln kann. Zusätzlich hat der aus Baden-Baden stammende Sebastian Diziol durch seine Anmerkungen mit Erklärungen und ein detailliertes Register ein wichtiges Nachschlagewerk abgeliefert.

„Die ganze Geschichte meines gleichgültigen Lebens“ , Band 2, kostet 32,90 Euro.

Wertvolles Dokument der Heimatgeschichte zu den Jahren 1816 – 1828


Sebastian Diziol ist Feuer und Flamme für das Manuskript des „Tag und Familienbuchs“ – Foto: Sol

Lebendiges Panorama des 19. Jahrhunderts

Historiker Sebastian Diziol gibt die Erinnerungen des Rastatter Bankiers Franz Simon Meyer (1799-1871) heraus

Von Sebastian Linkenheil im Badischen Tagblatt vom 4. November 2016

Rastatt – Wer sich für Lokalgeschichte und den Alltag der Menschen in Baden im 19. Jahrhundert interessiert, für den ist dieses Buch ein gefundenes Fressen: Von seinem 16. Lebensjahr bis zu seinem Tod schrieb der Rastatter Bankier Franz Simon Meyer (1799-1871) einmal jährlich nieder, was ihn in den vorangegangenen zwölf Monaten bewegt hatte. Der aus Baden-Baden stammende Historiker Sebastian Diziol gibt das reich bebilderte Werk jetzt in zwei Bänden heraus. „Die ganze Geschichte meines gleichgültigen Lebens“ lautet der Titel.

Zur Vorgeschichte: Feuer und Flamme war Sebastian Diziol schon, als er 2004 ein Praktikum im Stadtarchiv Baden-Baden machte. Damals zeigte ihm dessen Leiterin Dagmar Rumpf eher beiläufig zwei große Bücher, beide in Leder gebunden, in wie gestochener Handschrift verfasst und ausgestattet mit Zeichnungen, Kupferstichen und Briefen.

Über 55 Jahre hinweg hatte ein Zeitgenosse der Kriege Napoleons, der Badischen Revolution und Bismarcks ein Manuskript von historiographischer Bedeutung geschaffen, wie Diziol seinerzeit schnell erkannte. Die Seiten schildern aber auch Hoffnungen und Träume, Freude und Leid, Freundschaften und Lieben, die ganze Persönlichkeit, eben das ganze Leben des Rastatters Franz Meyer.

Wertvolle Quelle der Regionalgeschichte

Im ersten Band über die Jugendjahre Meyers liest man von Reisen, die den wohlhabenden jungen Mann nach Italien, Frankreich und England führten. Seine ebenfalls abgedruckten Gedichte erzählen von einer sentimentalen Ader, die gut in seine Zeit gepasst hat. Das Talent eines großen Dichters hatte der Jüngling allerdings eher nicht. Dafür hat der Kaufmannssohn akribisch Buch geführt, gerade über seine Ausgaben auf Reisen, auch wenn Meyer offenkundig nicht sparen musste.

Eine seidene Krawatte hier, eine Spazierfahrt in offener Kutsche dort, Theater- und Kaffeehausbesuche schlugen zu Buche. Doch Meyer dachte auch an die Daheimgebliebenen.

Seinem Vater, der während der Zeit der Französischen Revolution adeligen Exilanten von der anderen Rheinseite half, verschaffte er durch Fürsprecher bei dem auf den Bourbonenthron zurückgekehrten König eine hohe Auszeichnung.

Wie kommt es aber, dass diese wertvolle Quelle der Stadt- und Regionalgeschichte nicht in Meyers Heimatstadt aufbewahrt wird, sondern in Baden-Baden? Diziol erzählt im Anhang des ersten Bandes auch die Geschichte dieses in großer Detailtreue wiedergegebenen Dokuments. Die beiden in Leder gebundenen Bände waren über Generationen unter den Nachkommen Meyers weitervererbt worden.

Die historische Bedeutung dieses seltenen Zeugnisses scheint indes die damalige Baden-Badener Stadtarchivarin Margot Fuß in den 1960er Jahren als erste erkannt zu haben. Ende der 1970er wurden die Bücher dem Stadtarchiv Baden-Baden und wohl auch der Stadt Rastatt zum Kauf angeboten. Preis: 4500 Mark. Der damalige Rastatter Bürgermeister lehnte den Ankauf aber aus finanziellen Gründen ab, schreibt Diziol.

Seltenes Zeugnis von historischer Bedeutung

Dennoch sind Auszüge, die sich mit der Revolution von 1848/49 befassen, bereits von heimathistorisch interessierten Autoren wie dem ehemaligen Rastatter Stadtarchivar Wolfgang Reiß und BT-Mitarbeiter Rainer Wollenschneider im Heimatbuch des Landkreises und in der „Badischen Heimat“ veröffentlicht worden. Schön, dass diese interessante Quelle nun reich bebildert für die Experten und interessierten Laien in vollem Umfang vorliegt. Der Herausgeber Sebastian Diziol lebt und arbeitet seit 2013 in Kiel.

bt-die-ganze-geschichte-meyerVerlag Solivagus Praeteritum

632 Seiten, Hardcover, Fadenheftung, 51 Abbildungen, 4 Karten, 11 Illustrationen, Orts-, Personen- und Firmenregister, Erscheinungsdatum: 27. Oktober 2016, Format: 16 x 22,5 cm

Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-9817079-3-9
32,90 €

 

Mehr unter: http://www.baden-baden.de/stadtportrait/aktuelles/pressearchiv/2016-05/sebastian-diziol-auf-den-spuren-von-franz-meyer_2585/

1888 – Warenkatalog der Eisenwerke mit Kuriositäten

Namensgeber für die Gaggenauer Patent-Kegelbahn war sicherlich das Schweizer Bergmassiv „Rigi“, da man den Berg hinauf kegelte.

Namensgeber für die Gaggenauer Patent-Kegelbahn war sicherlich das Schweizer Bergmassiv „Rigi“, da man den Berg hinauf kegelte.

Das Badische Tagblatt veröffentlichte am 17. 10. 2015 den folgenden Beitrag:

„Illustrirtes Preisverzeichniss“ der Eisenwerke Gaggenau aus dem Jahr 1888 offenbart ein Kabinett der Kuriositäten

Von Michael Wessel

Die Eisenwerke Gaggenau, sie sind schon lange Geschichte. Die unzähligen Produkte, die dort hergestellt wurden auch. Doch findet sich so manches Kuriosum darunter. Zum Beispiel eine zerlegbare Kegelbahn.

Die Eisenwerke waren von 1873 bis 1888 – also in nur 15 Jahren – von einem kleinen Hammerwerk mit 40 Mitarbeitern zu einem international bekannten Industriebetrieb mit über 1000 Mitarbeitern angewachsen. Eine rasante Entwicklung, die auch dazu führte, das Unternehmen im November 1888 rückwirkend zum 1. Januar in eine AG umzuwandeln. Die Gründung der Aktiengesellschaft wurde auch zum Anlass genommen, ein umfangreiches ledergebundenes „Illustrirtes Preisverzeichniss“ herauszugeben. Gefertigt in der eigenen Buchdruckerei und mit Goldschnitt versehen. Es dokumentiert das extrem breitgefächerte Produktionsprogramm vom Aschenbecher bis hin zu stationären Motoren und stellt somit ein wertvolles Zeitdokument dar.
Bis 1888 hatten Michael Flürscheim und Theodor Bergmann die Eisenwerke geleitet. Beide Inhaber ließen sich von den Aktionären ausbezahlen, und Theodor Bergmann leitete fortan alleine den Betrieb. Er war allem Neuen gegenüber aufgeschlossen, firmierte auch als „Etablissement für Neuheiten“ und so fanden Erfinder bei ihm meist ein offenes Ohr.

Titel des ledergebundenen Preisverzeichnisses von 1888

Titel des ledergebundenen Preisverzeichnisses von 1888

Dass dies Probleme mit sich bringen kann, macht das Preisverzeichnis deutlich: Produziert wurden einerseits profane Artikel des täglichen Gebrauchs wie Tischtuchklemmen oder Verschlüsse für Flaschen und Gläser und andererseits Präzisionsgewehre oder hochwertige Drehbänke. Und all das meist in unterschiedlichen Materialien und mit verschiedenen Oberflächen. Dies hatte zur Folge, dass das Preisverzeichnis über 1200 Positionen aufweist. Einige Artikel geben Anlass zum Schmunzeln.

So wird in der Abteilung „Holzwaarenfabrikation“ die zerlegbare „Gaggenauer Patent-Kegelbahn Rigi“ mit ansteigender Lauffläche angeboten, die laut Beschreibung bei zehn bis 13 Metern Länge eine vergleichbare Wirkung erzielte wie eine Kegelbahn der doppelten Länge. Unter den abgedruckten Referenzschreiben ist eines von Ferdinand Seitz, Besitzer des Gasthofs zum „Engel“ im Luftkurort Michelbach: „Die Kürze des Kegelraumes von nur 11 Meter bietet die große Annehmlichkeit, dass man die Kegel besser übersehen kann als sonst. Nach meiner Überzeugung wird Ihre neue Patent-Kegelbahn, soweit sie erst mehr bekannt ist, die alten Bahnen vollständig verdrängen, da meine Gäste selbst sagen, sie möchten nicht mehr auf einer langen Bahn kegeln.“ Er sollte nicht recht behalten.

Die Abteilung „Holzwaarenfabrikation“ bietet auch Leitern mit Sicherheitsgeländer, Behälter und Tisch an. Aus der Eisengießerei wird ein „Signal-Sicherheitstrichter“ angeboten, bei dem ein Luftstrom einen Pfeifton erzeugt, wenn der Behälter voll ist: „So können selbst an den dunkelsten Orten Flaschen gefüllt werden, ohne dass dieselben überlaufen“.

Bei einer Sammelbüchse mit Eichhörnchen ist zu lesen: „Diese neue Sammelbüchse dient ausser ihrem eigentlichen Zweck auch als Cigarrenabschneider. Legt man ein Geldstück auf die Pfoten und drückt auf den Busch, dann führt das Eichhörnchen dasselbe zum Mund und dort fällt es in die am Fusse angebrachte Kasse.“ Ebenfalls angeboten werden „Patent-Hosenstrecker“ für die Reise oder ein „Migrainestift in hochfeiner Ausführung zum Anhängen an Uhrketten oder Armbänder“: „Der Migrainestift selbst enthält garantirt reines Menthol und ist bei Kopfschmerzen von stärkster Wirkung“. Patentiert wurde auch ein automatisch schließendes Tintenfass, „wodurch die Tinte immer rein bleibt und nicht austrocknet“ – in acht Ausführungen.