Giuseppe Casà: Vom Hilfsarbeiter zum geschätzten Geschäftsmann

Italieniscche Produkte vom Feinsten bieten Samuel, Antonia, Giuseppe, Josefine und Luca Casà in Ottenau an.

Vom Hilfsarbeiter zum geschätzten Geschäftsmann

 Giuseppe Casà ist ein hervorragendes Beispiel für eine gelungene Integration

Orangen als Schlüsselerlebnis

Speiseeis, Orangen und Oliven spielen im beruflichen Leben des Sizilianers Giuseppe Casà eine besondere Rolle, denn sie waren mitentscheidend für seine beispielhafte Karriere. Aber ausschlaggebend waren der ausgeprägte gesunde Ehrgeiz und die positive Einstellung zum Leben und zu den Mitmenschen. Als seine Eltern 1970 Beschäftigung in den Gaggenau-Werken fanden, wollten sie wie viele sogenannte Gastarbeiter nur einige Jahre im Murgtal arbeiten, um dann wieder nach Sizilien zurückzukehren. Doch sie blieben für immer.

Im Jahr 1975 arbeitete der damals 15-jährige Giuseppe zunächst als Hilfsarbeiter bei den Holzwerken Rahner und im Folgejahr als Hoffeger in den Gaggenau-Werken. „Das war für mich sehr deprimierend“, erinnert er sich heute, und er setzte daher seinen ganzen Ehrgeiz daran, dass sich an seiner beruflichen Situation etwas ändert. Bald wurde er Stanzer und ab 1980 Maschinenbediener im Protektorwerk Florenz Maisch. Und so schloss er 1985 berufsbegleitend seine Ausbildung als Industriemechaniker an der Abendschule ab.

Voller Begeisterung erzählt der heute Sechzigjährige, dass er sich 1987 einen gebrauchten Eiswagen gekauft habe und manchmal hundert Leute beim Benzwerk, bei Maisch oder bei Roth-Technik in der Schlange standen. Das Jahr 1987 sollte aber noch mehr Bedeutung bekommen, denn er lernte bei einem Heimatbesuch in Italien seine Frau Antonina kennen – ein Jahr später heirateten sie. Ein zweiter Eiswagen wurde gekauft, und jetzt fuhren beide insbesondere nach Karlsruhe auf den Turmberg und in die Schrebergärten von Hagsfeld. Viele Freundschaften entstanden dabei, und so fährt Giuseppe Casà weiterhin gerne dorthin.

Seit über 30 Jahren verkauft Giuseppe Casà selbst gemachtes Eis – meist bei den Schrebergärten in Karlsruhe-Hagsfeld

Ein Schlüsselerlebnis hatte er sicherlich, als ihn 1994 ein Schwager bat, für ihn ein paar Kisten unbehandelte Orangen in Gaggenau zu verkaufen. Giuseppe Casà erschrak, als ganze 300 Kisten ankamen. „Wer soll die denn alle essen?!“, schimpfte er. Doch nach zwei Tagen waren sie restlos verkauft. Die nächste Lieferung kam kurz darauf dann schon mit einem Sattelzug. Auch hier verkauften sich die 24 Tonnen innerhalb einer Woche. Anlieferung und Verkauf waren noch in der alten AVIA-Tankstelle. Aber auch im Benzwerk oder bei Blumen-Hertweck fanden die Orangen kistenweise Abnehmer.

Und dann sind da ja noch die Oliven, die bereits seit etwa 1800 in der Großfamilie angebaut und insbesondere zu Öl gepresst werden. Die eigene Anbaufläche vergrößerte Giuseppe Casà durch den Zukauf von 5.000 Quadratmetern auf fast das Doppelte. Und es ist für ihn eine Selbstverständlichkeit, dass er jedes Jahr im Oktober zwei oder drei Wochen bei der Olivenernte vor Ort ist, um eine hohe Qualität gewährleisten zu können.

Bereits mit dem Kauf eines Reihenhauses in Ottenau im Jahr 1992 stand für Antonina und Giuseppe Casà fest, dass sie hier bleiben werden. Das manifestierte sich, als beide den Entschluss fassten, einen Groß- und Einzelhandel für italienische Feinkost aufzubauen, hierfür 1997 ein Grundstück kauften und vier Jahre später ihr Geschäft eröffnen konnten. Erst jetzt gab Giuseppe Casà seine Tätigkeit im Protektorwerk Maisch auf, um sich voll und ganz der neuen Herausforderung zu stellen.

Der Traum der beiden ging in Erfüllung: Mit tatkräftiger Unterstützung durch ihren Sohn Samuel ist ihr Unternehmen „Pronto Casa“ heute in der Region die Nummer eins für italienische Spezialitäten – auch bei der Belieferung der Gastronomie. Zusammen haben sie sich noch weitere Ziele gesteckt: Durch den Zukauf eines Grundstücks soll die Verkaufsfläche von 280 auf 440 Quadratmeter und die Lagerfläche von 200 auf 400 Quadratmeter erhöht werden. Damit wollen sie ihre Spitzenposition langfristig absichern.

Giuseppe Casà ist heute glücklich über die positive Entwicklung, die er dank großem Ehrgeiz und guter Gesundheit, aber auch dank glücklicher Fügungen durchlaufen durfte. Daher freuen sich insbesondere in der Vorweihnachtszeit gleich mehrere soziale Einrichtungen immer wieder unter anderem über seine Orangen-Spenden.

Text und Fotos: Michael Wessel

Erstveröffentlichung im Badischen Tagblatt vom 1. September 2020

1888: perforierte Toilettenrollen aus den Eisenwerken Gaggenau

Bereits 1888 boten die Eisenwerke Gaggenau vier Halter für perforiertes Toilettenpapier an - vier Jahrzehnte vor Hakles Produktion in Ludwigsburg.

Bereits 1888 boten die Eisenwerke Gaggenau vier Halter für perforiertes Toilettenpapier an – vier Jahrzehnte vor Hakles Produktion in Ludwigsburg.

Badisches Tagblatt, 25. August 2015         DER MURGTÄLER

Gaggenauer Komfort fürs Closet

Der gerollte Hygieneartikel wurde früher als bislang angenommen hergestellt

Am 26. August ist Tag des Toilettenpapiers

Von Michael Wessel

Gaggenau – Es gibt Gedenktage, die regelmäßig durch die Medien gehen. So ist am morgigen 26. August – man kann es kaum glauben – der internationale Tag des Toilettenpapiers, der toilet paper day. Gibt es einen besseren Anlasse, die Geschichte des Toilettenpapiers, auf die bei solcher Gelegenheit gerne zurückgeblickt wird, zu korrigieren? Denn jetzt belegen zwei Dokumente, dass der Hygieneartikel bereits 1888 in den Eisenwerken Gaggenau in großem Stil hergestellt wurde. Bislang galt als gesichert, dass gerolltes Toilettenpapier in Deutschland erst in den 1920er Jahren produziert wurde.

Bisher wird Hans Klenk zugeschrieben, die Toilettenrolle auf dem europäischen Festland eingeführt zu haben. Der Firmenname, die Abkürzung Hakle, ist vielen geläufig. So schrieb beispielsweise die Berliner Zeitung 2003: „Der schwäbische Unternehmer Hans Klenk wickelte im Jahr 1928 – vor 75 Jahren – zum ersten Mal lange Papierstreifen auf eine Rolle. Damit führte der ehemalige Banker in Europa ein, was die Firma Scott um 1890 in Amerika bereits vorgemacht hatte. Die amerikanische Papierfabrik hatte sich damals noch gescheut, den eigenen Namen auf das als anrüchig empfundene Produkt zu drucken.

Hakle-Produktion erst ab 1928

Auch der Brite W. C. Alcock, der in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine Alternative zu den bis dahin üblichen Zeitungsschnipseln erfand, nannte diese schamvoll Papierlockenwickler. Klenk hatte keine derartigen Bedenken und gründete 1928 sein Werk im schwäbischen Ludwigsburg. Als Firmennamen wählte er seine erweiterten Initialen: Hakle. Dazu fiel ihm ein psychologisch wertvoller Werbespruch ein: „Verlangen Sie eine Rolle Hakle, dann brauchen Sie nicht Toilettenpapier zu sagen.“

Diese weit verbreitete Auffassung, dass erst 1928 die Toilettenrolle auf dem europäischen Festland eingeführt wurde, muss jetzt korrigiert werden. Denn bereits fast vier Jahrzehnte zuvor, 1891, wirbt Theodor Bergmann, Geschäftsführer der Eisenwerke Gaggenau, in einer Firmenbroschüre für seine Toilettenrollen: „Papier-Perforier-Anstalt, mit 12 Specialmaschinen, fertigt pro Tag über 2000 Rollen gelochtes Closetpapier und ist bis heute wohl auf dem ganzen Kontinent die einzige derartige Anstalt.“ Zwei Zeichnungen ermöglichen den Blick in die Produktion des gerollten und gelochten Toilettenpapiers.

Die frühe Produktion von Toilettenpapier in den Eisenwerken Gaggenau belegen auch diese beiden Zeichnungen aus dem Jahr 1891.

Die frühe Produktion von Toilettenpapier in den Eisenwerken Gaggenau belegen auch diese beiden Zeichnungen aus dem Jahr 1891.

 

Luxus mit Leuchte und Streichholzhalter

In den Gaggenauer Eisenwerken wurde offensichtlich aber bereits früher Toilettenpapier auf Rollen produziert, denn in einem ledergebundenen „Illustrirtem Preisverzeichnis“, das 1888 anlässlich der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft herausgegeben wurde, werden gleich vier sehr unterschiedliche „Closetclipse für Rollenpapier“ mit folgender Werbebotschaft offeriert: „Die meisten Halter für Rollen-Papier haben den Nachtheil, dass die Rollen zu schwierig einzumachen sind und dass namentlich beim Abreissen zu viel Papier nachläuft, d. h. sich von selbst abrollt und unordentlich herunterhängt. Bei diesen neuen Clips sind diese Mängel beseitigt, indem die Einführung eine sehr einfache ist.“

Diese Formulierung lässt darauf schließen, dass es sich zu diesem Zeitpunkt um keine Neuheit handelte, also gerolltes Toilettenpapier und die dafür notwendigen Halter sogar bereits vor 1888 hier angeboten wurden. Diese kosteten in einfachster Ausführung zehn Mark und in der Luxusvariante mit Leuchter und Streichholzhalter 78 Mark. Die dazu gehörige Rolle mit 1000 Abrissen wurde im Dutzend für zwölf Mark angeboten. Beides also ein besonderer Luxus, wenn man bedenkt, dass die 78 Mark mehr als dem Wochenlohn eines Facharbeiters entsprachen.

Weiter heißt es: „Wir machen noch ausdrücklich darauf aufmerksam, dass unser Rollenpapier perforirt ist, was den grossen Vortheil hat, dass man selten mehr abreisst als eben nothwendig ist, während bei nicht perforirtem Papier immer zu viel abgerollt wird und dieses dann trotz etwas billigerem Ankaufpreis, wesentlich theurer zu stehen kommt, als das unsrige.“

Wie im „Illustrirtem Preisverzeichnis“ weiter zu sehen ist, boten die Eisenwerke auch Halter für „Closetpapierhalter in Buchform“ an. Dabei war man sich nicht zu schade, das Markenzeichen, zwei gekreuzte Pistolen, groß auf das Deckblatt zu drucken.

Am Tag des Toilettenpapiers können wir also feststellen, dass sich die perforierte Klorolle von Gaggenau aus auf dem europäischen Festland verbreitet hat.

Mehr zu den Eisenwerken Gaggenau in dem Buch „Michael Flürscheim – Industrieller, Sozialökonom, Utopist“, erhältlich im Buchhandel oder über www.buchundbild.de sowie auf www.murgtal-chronik.de

 

 

 

Termine zur Heimatkunde

 

Postkarte der Gaststätte "Brüderlin" von 1924

Postkarte der Gaststätte „Brüderlin“ von 1924

Die Sammler von Ansichtskarten und Stichen/Lithographien mit Motiven aus dem Landkreis Rastatt und Stadtkreis Baden-Baden treffen sich zweimal jährlich im „Brüderlin“, Gernsbach. Pandemiebedingt finden derzeit jedoch noch keine Termine statt.

Weitere Termine zur Heimat- und Indurstriegeschichte veröffentlichen wir hier gerne. Bitte mailen an wessel-gaggenau@t-online.de

Die Termine der Regionalgruppe Rastatt der Badischen Heimat stehen im Beitrag „Badische Heimat“.

 

Zweiter Band über den Rastatter Chronisten Franz Simon Meyer von Sebastian Diziol erschienen

 

Rainer Wollenschneider schreibt am 22. Dezember 2017 im Badischen Tagblatt:

Revolutionszeit wird lebendig

Der zweite Band der Lebensgeschichte des Rastatter Bankiers Franz Simon Meyer ist nach der Vorstellung des ersten Buchs 2016 von vielen Menschen mit Spannung erwartet worden. Sebastian Diziol hat wieder ganze Arbeit geleistet und kann nun auf 559 Seiten ein Zeitbild präsentieren, das in interessanten Facetten die Zeit von 1828 bis zur Revolution in Baden von 1848/49 nahebringt. Packend sind die kommentieren Aufzeichnungen des Rastatters Weltbürgers und Bankiers, die im Stadtarchiv Baden-Baden im Original aufbewahrt sind.

Treffend heißt es im Begleittext, dass Meyers Aufzeichnungen Momente des Glücks und der Trauer sowie den Alltag gerade der turbulenten Zeit der Revolution minuziös wie sonst kaum schildern. Eine Augenweide sind die eingestreuten Textillustrationen, die der Ausgabe – neben über 50 Abbildungen und vier Karten – einen besonderen bibliophilen Charakter verleihen.

Überraschend ist die Schilderung eines Hochzeitsessens im Hause Meyer im November 1829 mit Sitzplan. Serviert wurden neben Austern, Schnecken und Kapaunen damals auch Auerhähne. Meyer beschreibt auch das revolutionäre Treiben schon 1830 in Frankreich und Polen, aber er liefert auch Interessantes zum geheimnisumwitterten Kaspar Hauser.

Dass der reiche Bankier auch eine poetische Ader hatte, das belegt er durch abgedruckte Gedichte. So 1835 „Das Schloss Rastatt“ und die rührende Elegie auf die verstorbene Fanny Meyer.

Immer wieder überraschen in Sebastian Diziols Band Meyers kenntnisreiche Blicke über den regionalen Tellerrand: Erdbeben in Syrien, Cholera in Sizilien und Kriege gegen ethnische Minderheiten in Russland. Ab 1840 ist das Geschilderte insbesondere eine wahre Fundgrube zur Rastatter Stadtgeschichte und der Region. 1842 schreibt Meyer: „Eisenbahn und Festung rauben den Einwohnern die Hälfte ihrer Güter“, und man sei sich über Grundstückspreise nicht einig. Allerdings ist Meyer dann 1844 über die hohen gezahlten Grundstückpreise glücklich. Es stören ihn nur 4000 Tagelöhner und Maurer beim Festungsbau.

Vor dem Hintergrund der Errichtung der Bundesfestung in Rastatt schildert der Bankier die revolutionäre Stimmung 1847: „In Deutschland gärt es, namentlich bei uns in Baden.“ Wird auch am 26. März 1848 die schwarz-rot-goldene Fahne auf den Rastatter Festungswällen gehisst, Meyer als Mitglied des Bürgerausschusses ist das nicht genehm. „Gegen meinen Willen abgesandt“ ist protestierend unter einer zitierten demokratischen Petition zu lesen.

Ein erhaltener Festungsplan ist dann nur der Auftakt zu spannend zu lesenden Beschreibungen eines Insiders zu den revolutionären Ereignissen und der vorübergehenden Herrschaft der Revolutionäre in der Stadt vom 12. Mai bis zur Kapitulation am 23. Juli 1849.

Nirgendwo in der bisher öffentlich greifbaren Literatur zur Revolution sind die Schilderungen dazu so packend ausgefallen. Spannend und mitreißend ist, was Meyer über die Standgerichtsurteile durch Erschießen schreibt.

Mit dem zweiten Band der Aufzeichnungen des Franz Simon Meyer wurden Fakten in neuem Licht, aber auch ein historischer „Roman“ geliefert, der wahrlich fesseln kann. Zusätzlich hat der aus Baden-Baden stammende Sebastian Diziol durch seine Anmerkungen mit Erklärungen und ein detailliertes Register ein wichtiges Nachschlagewerk abgeliefert.

„Die ganze Geschichte meines gleichgültigen Lebens“ , Band 2, kostet 32,90 Euro.

Wertvolles Dokument der Heimatgeschichte zu den Jahren 1816 – 1828


Sebastian Diziol ist Feuer und Flamme für das Manuskript des „Tag und Familienbuchs“ – Foto: Sol

Lebendiges Panorama des 19. Jahrhunderts

Historiker Sebastian Diziol gibt die Erinnerungen des Rastatter Bankiers Franz Simon Meyer (1799-1871) heraus

Von Sebastian Linkenheil im Badischen Tagblatt vom 4. November 2016

Rastatt – Wer sich für Lokalgeschichte und den Alltag der Menschen in Baden im 19. Jahrhundert interessiert, für den ist dieses Buch ein gefundenes Fressen: Von seinem 16. Lebensjahr bis zu seinem Tod schrieb der Rastatter Bankier Franz Simon Meyer (1799-1871) einmal jährlich nieder, was ihn in den vorangegangenen zwölf Monaten bewegt hatte. Der aus Baden-Baden stammende Historiker Sebastian Diziol gibt das reich bebilderte Werk jetzt in zwei Bänden heraus. „Die ganze Geschichte meines gleichgültigen Lebens“ lautet der Titel.

Zur Vorgeschichte: Feuer und Flamme war Sebastian Diziol schon, als er 2004 ein Praktikum im Stadtarchiv Baden-Baden machte. Damals zeigte ihm dessen Leiterin Dagmar Rumpf eher beiläufig zwei große Bücher, beide in Leder gebunden, in wie gestochener Handschrift verfasst und ausgestattet mit Zeichnungen, Kupferstichen und Briefen.

Über 55 Jahre hinweg hatte ein Zeitgenosse der Kriege Napoleons, der Badischen Revolution und Bismarcks ein Manuskript von historiographischer Bedeutung geschaffen, wie Diziol seinerzeit schnell erkannte. Die Seiten schildern aber auch Hoffnungen und Träume, Freude und Leid, Freundschaften und Lieben, die ganze Persönlichkeit, eben das ganze Leben des Rastatters Franz Meyer.

Wertvolle Quelle der Regionalgeschichte

Im ersten Band über die Jugendjahre Meyers liest man von Reisen, die den wohlhabenden jungen Mann nach Italien, Frankreich und England führten. Seine ebenfalls abgedruckten Gedichte erzählen von einer sentimentalen Ader, die gut in seine Zeit gepasst hat. Das Talent eines großen Dichters hatte der Jüngling allerdings eher nicht. Dafür hat der Kaufmannssohn akribisch Buch geführt, gerade über seine Ausgaben auf Reisen, auch wenn Meyer offenkundig nicht sparen musste.

Eine seidene Krawatte hier, eine Spazierfahrt in offener Kutsche dort, Theater- und Kaffeehausbesuche schlugen zu Buche. Doch Meyer dachte auch an die Daheimgebliebenen.

Seinem Vater, der während der Zeit der Französischen Revolution adeligen Exilanten von der anderen Rheinseite half, verschaffte er durch Fürsprecher bei dem auf den Bourbonenthron zurückgekehrten König eine hohe Auszeichnung.

Wie kommt es aber, dass diese wertvolle Quelle der Stadt- und Regionalgeschichte nicht in Meyers Heimatstadt aufbewahrt wird, sondern in Baden-Baden? Diziol erzählt im Anhang des ersten Bandes auch die Geschichte dieses in großer Detailtreue wiedergegebenen Dokuments. Die beiden in Leder gebundenen Bände waren über Generationen unter den Nachkommen Meyers weitervererbt worden.

Die historische Bedeutung dieses seltenen Zeugnisses scheint indes die damalige Baden-Badener Stadtarchivarin Margot Fuß in den 1960er Jahren als erste erkannt zu haben. Ende der 1970er wurden die Bücher dem Stadtarchiv Baden-Baden und wohl auch der Stadt Rastatt zum Kauf angeboten. Preis: 4500 Mark. Der damalige Rastatter Bürgermeister lehnte den Ankauf aber aus finanziellen Gründen ab, schreibt Diziol.

Seltenes Zeugnis von historischer Bedeutung

Dennoch sind Auszüge, die sich mit der Revolution von 1848/49 befassen, bereits von heimathistorisch interessierten Autoren wie dem ehemaligen Rastatter Stadtarchivar Wolfgang Reiß und BT-Mitarbeiter Rainer Wollenschneider im Heimatbuch des Landkreises und in der „Badischen Heimat“ veröffentlicht worden. Schön, dass diese interessante Quelle nun reich bebildert für die Experten und interessierten Laien in vollem Umfang vorliegt. Der Herausgeber Sebastian Diziol lebt und arbeitet seit 2013 in Kiel.

bt-die-ganze-geschichte-meyerVerlag Solivagus Praeteritum

632 Seiten, Hardcover, Fadenheftung, 51 Abbildungen, 4 Karten, 11 Illustrationen, Orts-, Personen- und Firmenregister, Erscheinungsdatum: 27. Oktober 2016, Format: 16 x 22,5 cm

Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-9817079-3-9
32,90 €

 

Mehr unter: http://www.baden-baden.de/stadtportrait/aktuelles/pressearchiv/2016-05/sebastian-diziol-auf-den-spuren-von-franz-meyer_2585/

1888 – Warenkatalog der Eisenwerke mit Kuriositäten

Namensgeber für die Gaggenauer Patent-Kegelbahn war sicherlich das Schweizer Bergmassiv „Rigi“, da man den Berg hinauf kegelte.

Namensgeber für die Gaggenauer Patent-Kegelbahn war sicherlich das Schweizer Bergmassiv „Rigi“, da man den Berg hinauf kegelte.

Das Badische Tagblatt veröffentlichte am 17. 10. 2015 den folgenden Beitrag:

„Illustrirtes Preisverzeichniss“ der Eisenwerke Gaggenau aus dem Jahr 1888 offenbart ein Kabinett der Kuriositäten

Von Michael Wessel

Die Eisenwerke Gaggenau, sie sind schon lange Geschichte. Die unzähligen Produkte, die dort hergestellt wurden auch. Doch findet sich so manches Kuriosum darunter. Zum Beispiel eine zerlegbare Kegelbahn.

Die Eisenwerke waren von 1873 bis 1888 – also in nur 15 Jahren – von einem kleinen Hammerwerk mit 40 Mitarbeitern zu einem international bekannten Industriebetrieb mit über 1000 Mitarbeitern angewachsen. Eine rasante Entwicklung, die auch dazu führte, das Unternehmen im November 1888 rückwirkend zum 1. Januar in eine AG umzuwandeln. Die Gründung der Aktiengesellschaft wurde auch zum Anlass genommen, ein umfangreiches ledergebundenes „Illustrirtes Preisverzeichniss“ herauszugeben. Gefertigt in der eigenen Buchdruckerei und mit Goldschnitt versehen. Es dokumentiert das extrem breitgefächerte Produktionsprogramm vom Aschenbecher bis hin zu stationären Motoren und stellt somit ein wertvolles Zeitdokument dar.
Bis 1888 hatten Michael Flürscheim und Theodor Bergmann die Eisenwerke geleitet. Beide Inhaber ließen sich von den Aktionären ausbezahlen, und Theodor Bergmann leitete fortan alleine den Betrieb. Er war allem Neuen gegenüber aufgeschlossen, firmierte auch als „Etablissement für Neuheiten“ und so fanden Erfinder bei ihm meist ein offenes Ohr.

Titel des ledergebundenen Preisverzeichnisses von 1888

Titel des ledergebundenen Preisverzeichnisses von 1888

Dass dies Probleme mit sich bringen kann, macht das Preisverzeichnis deutlich: Produziert wurden einerseits profane Artikel des täglichen Gebrauchs wie Tischtuchklemmen oder Verschlüsse für Flaschen und Gläser und andererseits Präzisionsgewehre oder hochwertige Drehbänke. Und all das meist in unterschiedlichen Materialien und mit verschiedenen Oberflächen. Dies hatte zur Folge, dass das Preisverzeichnis über 1200 Positionen aufweist. Einige Artikel geben Anlass zum Schmunzeln.

So wird in der Abteilung „Holzwaarenfabrikation“ die zerlegbare „Gaggenauer Patent-Kegelbahn Rigi“ mit ansteigender Lauffläche angeboten, die laut Beschreibung bei zehn bis 13 Metern Länge eine vergleichbare Wirkung erzielte wie eine Kegelbahn der doppelten Länge. Unter den abgedruckten Referenzschreiben ist eines von Ferdinand Seitz, Besitzer des Gasthofs zum „Engel“ im Luftkurort Michelbach: „Die Kürze des Kegelraumes von nur 11 Meter bietet die große Annehmlichkeit, dass man die Kegel besser übersehen kann als sonst. Nach meiner Überzeugung wird Ihre neue Patent-Kegelbahn, soweit sie erst mehr bekannt ist, die alten Bahnen vollständig verdrängen, da meine Gäste selbst sagen, sie möchten nicht mehr auf einer langen Bahn kegeln.“ Er sollte nicht recht behalten.

Die Abteilung „Holzwaarenfabrikation“ bietet auch Leitern mit Sicherheitsgeländer, Behälter und Tisch an. Aus der Eisengießerei wird ein „Signal-Sicherheitstrichter“ angeboten, bei dem ein Luftstrom einen Pfeifton erzeugt, wenn der Behälter voll ist: „So können selbst an den dunkelsten Orten Flaschen gefüllt werden, ohne dass dieselben überlaufen“.

Bei einer Sammelbüchse mit Eichhörnchen ist zu lesen: „Diese neue Sammelbüchse dient ausser ihrem eigentlichen Zweck auch als Cigarrenabschneider. Legt man ein Geldstück auf die Pfoten und drückt auf den Busch, dann führt das Eichhörnchen dasselbe zum Mund und dort fällt es in die am Fusse angebrachte Kasse.“ Ebenfalls angeboten werden „Patent-Hosenstrecker“ für die Reise oder ein „Migrainestift in hochfeiner Ausführung zum Anhängen an Uhrketten oder Armbänder“: „Der Migrainestift selbst enthält garantirt reines Menthol und ist bei Kopfschmerzen von stärkster Wirkung“. Patentiert wurde auch ein automatisch schließendes Tintenfass, „wodurch die Tinte immer rein bleibt und nicht austrocknet“ – in acht Ausführungen.

Flürscheim fertigte die erste Luftpistole in Deutschland

Badisches Tagblatt vom 19. Februar 2015:

Die Flürscheim-Pistole samt Spannvorrischtung und Munition ist noch bis 8. März 2015 im Unimog-Museum zu sehen

Die Flürscheim-Pistole samt Spannvorrischtung und Munition ist noch bis 8. März 2015 im Unimog-Museum zu sehen

Plagiat als Grundstock für Gaggenauer Waffenschmiede

1878 wurde in den Eisenwerken die erste deutsche Luftpistole hergestellt – basierend auf einem US-Modell

Von Michael Wessel

Gaggenau – Die Herstellung von Luftpistolen und Luftgewehren war Ende des 19. Jahrhunderts ein wesentlicher Produktionsschwerpunkt der damaligen Eisenwerke. Zwei gekreuzte Luftpistolen wurden sogar für lange Zeit ein Warenzeichen des Gaggenauer Werkes. Luftpistolen bildeten auch die Ausgangsbasis der Waffenproduktion der Bergmann-Industriewerke im benachbarten Ottenau sowie der Diana-Werke in Rastatt.

Im Unimog-Museum ist derzeit in der Winterausstellung „Von der Hammerschmiede zum Hightech-Werk – Metallverarbeitung im Murgtal“ das erste Modell einer Gaggenauer Luftpistole samt originalem Holzkästchen, Spannvorrichtung und Munition zu sehen. Die Ausstellung endet am Sonntag, 8. März.

1878 hatte sich der damalige Eigentümer der Gaggenauer Eisenwerke, Michael Flürscheim, diese Luftpistole patentieren lassen. Fachleute sehen darin jedoch die dreiste Kopie der Luftpistole von Haviland & Gunn, für die 1872 in den USA ein Patent  erteilt wurde.

Aus Nordamerika mitgebracht

Das würde passen, denn bis 1872 hielt sich Flürscheim in den Vereinigten Staaten auf. Dort interessierte es wenig, was in Old Europe passierte. Vermutlich hatte Flürscheim ein solches Exemplar in seinem Gepäck.

Als Theodor Bergmann 1879 von Michael Flürscheim zum Folgejahr für eine Mitarbeit als Geschäftsführer gewonnen wurde, lief die Produktion von Luftpistolen also bereits. Vom Hobby-Heimatforscher Willi Echle wurde in den 1950er Jahren die Aufnahme der Produktion von Luftpistolen noch Theodor Bergmann zugeschrieben.

Als im November 1888 die Eisenwerke rückwirkend zum 1. Januar 1888 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurden, erschien ein repräsentativer Warenkatalog. Schmunzeln muss man, wenn als erste Artikel der „Abtheilung IV. Waffenproduktion“ Taschen-Pfeilbogen, Patent-Knabenpistolen und Patent-Knabenfederpistolen mit Percussion „Favorite“ angeboten werden.

Dann aber folgen bereits vier verschiedene patentierte Luftpistolen. Das erste Modell entspricht dem der Ausstellung im Unimog-Museum und hat die zusätzliche Bezeichnung „MF“, was auf Michael Flürscheim deutet.

Historisches

Die beiden weiteren Pistolen hat haben die Bezeichnungen „EG“ und „TB“ – wohl für Eisenwerke Gaggenau und für Theodor Bergmann. Das vierte Modell wird mit „P. P.“ für Patent-Präcisions-Scheibenpistole bezeichnet. Während das Modell „MF“ mit Samt-Etui, sechs Bolzen und 100 Schuss Munition vernickelt 12,50 Mark und nur lackiert acht Mark kostet, ist das Modell „EG“ bereits für sechs beziehungsweise vier Mark zu haben. Als Sonderausstattung kostet es mit Hartgummibacken und verdeckter Feder eine Mark mehr.

Zur Patent-Präcisions-Scheibenpistole heißt es: „Diese Pistole entspricht allen gerechten Anforderungen, die an eine Luftpistole gestellt werden können, indem das Laden nur mit drei Griffen geschieht und der Schuss ein äußerst präciser ist. Ebenso ist die Form und Ausstattung eine höchst elegante.“ Sie kostete allerdings vernickelt auch 25 Mark.

Angeboten werden weiterhin sieben Luftgewehre, zwei Knabengewehre und zwei „combinierte Luft- und Feuergewehre“. Zu diesen heißt es: „Diese neu construierte Sportwaffe vereinigt die Vortheile der bekannten Luftgewehre und der sog. Tesins und Floberts, indem sie sowohl als geräuschlos und sicher schiessendes Luftgewehr, wie als weittragende, ernsthafte Feuerwaffe mit Kugel- oder Schrotschuss verwendet werden kann.“

Für die Jagd wurde in zwei Qualitäten ein Repetier-Gewehr offeriert, „welches in geladenem und gespanntem Zustande ein Nachfüllen des Magazins gestattet“. Angeboten werden zu diesen Gewehre auch Mündungspfropfen und Stahlbürsten. Im Angebot der „Abtheilung IV Waffenproduktion“ war zudem ein „Scheibenkasten mit schwingendem Vogel um Schnellschiessen zu üben“.

Hinzu kamen weitere sehr unterschiedliche Scheiben. Darunter eine mit automatischer Schussanzeige. Bei einer anderen begrüßten sich zwei Herren, wenn ins Schwarze getroffen wurde.

Flürscheim – wie der Name entstand

Internet Fluerscheim 02 Portrait Echle grau  KopieIm Laufe der Jahrhunderte hat sich der Familienname Flürscheim mehrfach verändert. Der Stammbaum der jüdischen Vorfahren reicht bis in das 17. Jahrhundert. Damals war es noch ein Loeb aus Flörsheim (die Stadt Flörsheim liegt am Main in der Nähe von Rüsselsheim). Der Familienname Flörsheim wurde im nächsten Jahrhundert als Flürsheim und dann als Flürscheim geschrieben.

Im englischsprachigen Raum wird der Name heute als Flurscheim geführt, wodurch die gleiche Aussprache wie im Deutschen gewährleitstet ist.

Abgeleitet wird der Name aus Heim/Haus der Blumen = „fleurs home“.

1879 – Flürscheim begegnet Bergmann

Bergmann-2Der Pädagoge und Hobby-Heimatforscher Willi Echle schreibt 1956 in seiner Broschüre „Theodor Bergmann – 1850 – 1931- Leben und Wirken eines Gaggenauer Industriepioniers“, die auf Initiative von Bürgermeister Josef Hollerbach erstellt und an alle Haushalte in Gaggenau verteilt wurde:

„So war für das Wirtschaftsleben des Dorfes Gaggenau neben dem Jahr 1973 ganz besonders das Jahr 1879 von später entscheidender Wichtigkeit.

Im Sommer 1879 besuchte Flürscheim eine Industrieausstellung in Konstanz. Auch eine Herdfirma aus derselben Stadt hatte ausgestellt; ihr Name war „Galler & Bergmann“. Hierher an den Bodensee hatte es also Bergmann nach strengen kaufmännischen Lehrjahren, besonders in der Eisengroßhandlung L. J. Ettlinger in Karlsruhe, verschlagen. Und hier heiratete er die Konstanzerin Marie Egger von Eggersried. Der Ehe entsprossen fünf Kinder: Emil (1875), Olga (1877-1944), Pia (1882), Clara (1883-1954) und Frieda (1885).

Der Gaggenauer Industrielle lernte den um fünf Jahre jüngeren, ideenreichen und technisch hochveranlagten Teilhaber der Konstanzer Firma kennen, dessen große Beredsamkeit an seinem Verkaufsstand ihm imponierte.

Es gelang Flürscheim, ihn für sein Gaggenauer Werk zu gewinnen.“